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Abschlusserklärung und Offener Brief

(Teilnehmer:innen der Konferenz während eines Workshops. © Wilma Nyari)

Offener Brief an Politik und Verwaltung zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes im Land Bremen

Die letzte Woche stand im Zeichen der Dekolonisierung in Bremen: Das Dekoloniale Netzwerk Nordwest und Dr. Norman Aselmeyer von der Universität Bremen organisierten die „Dekoloniale Woche“, in deren Zentrum die internationale Konferenz „Der Elefant im Raum: Zur Auseinandersetzung mit Bremens (post-)kolonialer Geschichte und Gegenwart“ (29.11.–1.12.2023) im Haus der Wissenschaft stand. Ein breites Bündnis aus Wissenschaft, Kultureinrichtungen und Zivilgesellschaft kam auf der Konferenz zusammen, um den derzeitigen wissenschaftlichen Stand zur Aufarbeitung des bremischen Kolonialismus und deren Leerstellen zu behandeln und das bereits erfolgte Engagement von verschiedenen Initiativen und Personen sichtbar zu machen. Die Konferenz rief ein breites mediales Echo hervor (u.a. taz: https://taz.de/Tagung-in-Bremen/!5976842; buten und binnen: https://www.butenunbinnen.de/videos/forschungsprojekt-afrika-archiv-kolonialgeschichte-100.html; Interview auf Bremen Zwei).

Die Konferenz endete am Freitagabend mit einem Offenen Brief an den Senat der Freien Hansestadt Bremen, die Fraktionen, Mitglieder und den Vorstand der Bremischen Bürgerschaft. Darin artikulieren die über 100 Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Konferenz ihr Anliegen, die Aufarbeitung konkret und nachhaltig fortzusetzen, neue wissenschaftliche und aktivistische Erkenntnisse in die Gesellschaft hineinzutragen und die bereits politisch beschlossenen Maßnahmenkataloge umzusetzen und weiterzuentwickeln. Er richtet sich an die politischen Gremien im Land Bremen, die bereits erfolgte Versprechungen noch nicht eingelöst haben. Die Diskussion endete mit dem Resümee, dass der notwendige Veränderungsprozess im Land Bremen nur durch die Einrichtung dauerhafter Strukturen angestoßen werden kann.

Offener Brief an den Senat der Freien Hansestadt Bremen, die Fraktionen, Mitglieder und den Vorstand der Bremischen Bürgerschaft

Abschlusserklärung der Konferenz „Der Elefant im Raum“ (Bremen, 29.11.–1.12.2023)

In Bremen gab es zwischen 2016 und 2021 mehrere Gesprächsrunden des Senators für Kultur (in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung) mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und interessierten Bürger:innen zum Thema „Kolonialismus und seine Folgen“. Aus diesen politischen Dialogen entstanden 2019 die vom Senator für Kultur verabschiedeten „Kulturpolitischen Leitlinien zum Umgang mit dem Kolonialen Erbe“. Damit wurden die seit den 1970er-Jahren begonnenen Interventionen durch zivilgesellschaftliche Akteur:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen zur Auseinandersetzung mit Bremens Beteiligungen an der Versklavung von Menschen und am Kolonialismus auf der symbolischen und politischen Ebene gestärkt.

Dennoch ist das Wissen um die koloniale Geschichte (dabei inbesondere die Rolle Bremens und Bremerhavens) und deren Kontinuitäten bislang kaum gesellschaftlich verankert. Dekoloniale Projekte bleiben nicht selten mangels personeller Kontinuitäten und fehlender Finanzierung ohne langfristige Wirkung. Forschungsarbeiten zur Kolonialgeschichte und Erinnerungskultur Bremens und Bremerhavens sind ebenso spärlich wie öffentliche Diskurse um eine lokale Dekolonisierung, die sich mit Fragen zur wirtschaftlichen und ökologischen Gerechtigkeit auf globaler Ebene verbinden.

Aus diesem Grund versammelte sich vom 29.11. bis 1.12.2023 ein breites Bündnis aus Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen in Bremen zur Tagung „Der Elefant im Raum“. Dort wurden Wege aus dem Stillstand verhandelt, um die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte und deren Folgen anzustoßen. Es wurde beschlossen, einen Maßnahmenkatalog für die Bremer Politik zu entwerfen, um der Dekolonisierung im Land Bremen neuen Schwung zu verleihen.

Wir fordern den Senat der Freien Hansestadt Bremen und die Bremische Bürgerschaft auf, das Thema Kolonialismus zum Querschnittsthema aller Ressorts zu machen und, in Abstimmung mit Akteur:innen aus der Wissenschaft, Kultur, Bildung und Zivilgesellschaft, Projekte zur Adressierung und Aufarbeitung der kolonialen Geschichte und Gegenwart zu iniitieren. Hierfür müssen personelle und materielle Ressourcen bereitgestellt werden. Konkret heißt das:

(1) Wir fordern die Einrichtung und Ausstattung einer politisch unabhängigen und divers geleiteten Koordinierungsstelle Koloniales Erbe. Ziel dieser Koordinierungsstelle ist es, den kontinuierlichen Austausch von verschiedenen Initiativen und Einrichtungen im Land Bremen zu gewährleisten, sie zu beraten und zu unterstützen. Sie soll sich bundesweit mit Gruppen im Feld der Dekolonisierungsprozesse vernetzen. Zudem gehört zum Aufgabenspektrum der Koordinierungsstelle, Projekte im kulturellen und sozialen Bereich anzustoßen, die der Aufarbeitung und den Folgen der Kolonialzeit gewidmet sind. Langfristige Hauptaufgabe der Stelle ist es, ein professionelles stadt- und landesweites Konzept zur dekolonialen Erinnerungs- und Bildungsarbeit in Zusammenarbeit mit Initiativen und Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kultur und (außer)schulischen Bildung zu entwerfen und dessen Umsetzung zu begleiten. Dies sollte auch beinhalten, Verflechtungen mit weiteren Dimensionen extremer Gewaltgeschichte (Nationalsozialismus) sowie deren Brüche und Kontinuitäten im Land Bremen zu berücksichtigen. Um die Vielfalt der verschiedenen Bewegungen und Interessen zu repräsentieren, empfehlen wir, die Koordinierungsstelle durch einen plural zusammengesetzten Beirat zu flankieren.

(2) Wir fordern die Gründung des im letzten Koalitionsvertrag versprochenen Kultur- und Dokumentationszentrums Kolonialismus und dessen dauerhafte finanzielle und personelle Ausstattung. Das Zentrum soll Bremens zentraler Ort des Gedenkens und der Dokumentation der kolonialen Geschichte und deren Kontinuitäten sein. Öffentliche kulturpolitische, künstlerische, bildungs- und forschungsbezogene Veranstaltungen sollen die Stadtgesellschaften in Bremen und Bremerhaven zum Dialog einladen und in sie hineinwirken. Zur ersten Aufgabe gehören die Sicherung, Erschließung und Aufarbeitung des Bremer Afrika Archivs, das den Grundstock des Kultur- und Dokumentationszentrums bilden soll.

(3) Wir fordern eine Forschungsstelle zur kolonialen Geschichte an der Universität Bremen, die die interdisziplinäre Forschung zum bremischen Kolonialismus und deren Nachwirkungen dauerhaft sicherstellt. Die Forschungsstelle schafft die wissenschaftliche Basis für die erinnerungspolitischen Aktivitäten im Land Bremen. Sie erforscht die Geschichte der kolonialen Verflechtungen Bremens anhand von Fallbeispielen in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv Bremen, der Stadt- und Universitätsbibliothek Bremen, dem Stadtarchiv Bremerhaven, der Landeszentrale für politische Bildung, dem Landesinstitut für Schule, den Museen, den Bremischen Kunsteinrichtungen sowie weiteren Kulturorganisationen. Sie muss international ausgerichtet sein und mit Akteur:innen in den ehemaligen Kolonien zusammenarbeiten. Die Mitarbeitenden der Forschungsstelle sollen in die Ausbildung von Lehrer:innen und Pädagog:innen involviert sein und die verschiedenen Einrichtungen und Autor:innen bei der Erstellung von Schul- und Lehrmaterial unterstützen.

(4) Wir fordern die Umsetzung der von der Bremer Stadtbürgerschaft im Februar 2021 beschlossenen Forderungen zur „Fortsetzung und Intensivierung des Bremer Erinnerungskonzeptes Kolonialismus“. Insbesondere Maßnahmen der Bildungsarbeit müssen unmittelbar angegangen werden: Themen des deutschen und europäischen Kolonialismus sind fächerübergreifend in die Bildungspläne Bremens zu integrieren. Dabei sollen insbesondere der Rolle Bremens und Bremerhavens und den negativen Nachwirkungen des Kolonialismus besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Aktive Erinnerungsformen müssen Prozesse der gesellschaftlichen Transformation anstoßen und konkrete Schritte zu einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Gerechtigkeit umsetzen.

(5) Wir fordern den Senat und die Bürgerschaft zudem auf, regelmäßig Rechenschaft abzulegen, welche Maßnahmen zum Thema Kolonialismus, Rassismus und Dekolonisierung im Land Bremen ergriffen und welche Ergebnisse erreicht wurden.

Die Bemühungen müssen über die bisherige Symbolpolitik hinausgehen. Bestehende zivilgesellschaftliche Initiativen müssen erstgenommen und unterstützt werden und deren Bemühungen im Schulterschluss mit der Politik auf höchster Ebene der Entscheidungsfindung behandelt werden. Kontinuierliches Ziel muss es sein, Transformationen in der Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft anzuregen und zu realisieren. Die Umsetzung der konkret genannten Maßnahmen würde an die früheren Initiativen im Land Bremen anschließen und national und international bezeugen, dass im Land Bremen das Koloniale Erbe ernsthaft aufgearbeitet wird.

Bremen, 1.12.2023

Redaktion: Organisator:innen der Tagung „Der Elefant im Raum“
Kontakt: Dekoloniales Netzwerk Nordwest & Dr. Norman Aselmeyer, Universität Bremen, bremendecolonial@gmail.com

Für den Download der Abschlusserklärung als PDF hier klicken.

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