Transnationale Solidarität seit den 1970er Jahren
Seit den 1970er Jahren engagieren sich entwicklungspolitische Initiativen in Bremen, darunter auch das Bremer Afrika Archiv. Dieses Buch blick auf die lange Geschichte internationaler Solidarität zurück und lässt Zeitzeugen:innen und Betroffene zu Wort kommen.
Erscheinungsdatum voraussichtl. 2027.

Global Solidarität vor Ort
Der Band untersucht antikoloniale Solidaritätsbewegungen in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1970er Jahren. Er zeigt, dass heutige Debatten über koloniales Erbe, Restitution oder Straßennamen eine längere Geschichte haben, als oft angenommen wird. Bereits nach den weltweiten Dekolonisierungsprozessen der 1960er Jahre begannen zivilgesellschaftliche Gruppen in Westdeutschland, sich kritisch mit der eigenen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen und neue Formen globaler Solidarität zu entwickeln.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich Antikolonialismus konkret vor Ort ausgestaltete. Der Band beschreibt vielfältige Praktiken wie Anti-Apartheid-Kampagnen, Konsumboykotte, Bildungsarbeit, internationale Begegnungen und erinnerungspolitische Initiativen. Dabei wird deutlich, dass lokale Gruppen wichtige Räume für politisches Lernen, Engagement und internationale Kooperation schufen. Zugleich macht das Buch Spannungen sichtbar, etwa durch eurozentrische Perspektiven oder ungleiche Machtverhältnisse innerhalb solidarischer Beziehungen.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Bremen. Anhand von Solidaritätsgruppen, Universitätsprojekten und politischen Entscheidungen wird gezeigt, wie lokale Akteurinnen und Akteure internationale Solidarität mit konkreter Verantwortung für das koloniale Erbe verbanden. Der Band vereint Beiträge von Wissenschaftler:innen, Zeitzeug:innen und Aktivist:innen und legt den Fokus bewusst auf Erfahrungen an der Basis. Ziel ist es, die bislang wenig dokumentierte Geschichte des Antikolonialismus seit den 1970er Jahren verständlich darzustellen und für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Herausgegeben von Norman Aselmeyer und Caroline Schäfer. Das Buch soll 2027 bei PapyRossa Köln erscheinen.
Call for Papers
Kurzbeschreibung
Der Band »Antikolonialismus in Deutschland: Transnationale Solidarität seit den 1970er Jahren« handelt von den antikolonialen Solidaritätsbewegungen seit den 1970er Jahren in der Bundesrepublik. Er fragt danach, wie sich antikoloniale Praxis und globale Kooperationen konkret vor Ort ausgestalteten – von Anti-Apartheid-Kampagnen über solidarischen Konsum bis zu Eine-Welt-Nächten und Straßenumbenennungen. Zentrales Argument ist, dass die Dekolonialisierungsprozesse der 1960er Jahre den Nährboden für die Solidaritätsbewegungen der 1970er Jahre legten, in welchen erstmals eine vertiefte öffentliche Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte stattfand. Diese Räume eröffnen lokalen Akteur:innen Gelegenheit, neue Formen antikolonialen Handelns und solidarischen Denkens zu erproben.
Projektbeschreibung
Postkoloniale Debatten über die Restitution geraubter Kulturgüter oder die Umbenennung kolonialer Straßennamen sind in den letzten Jahren verstärkt ins öffentliche und wissenschaftliche Interesse gerückt. Die gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe ist jedoch kein gänzlich neues Phänomen – auch wenn dies häufig postuliert wird. Erst jüngst schrieb der Historiker Sebastian Conrad in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass in den 1990er Jahren „vom Kolonialismus noch keine Rede“ (14.2.2024) gewesen sei. Doch bereits seit den 1970er Jahren setzten sich in der Bundesrepublik zivilgesellschaftliche Gruppen mit der kolonialen Geschichte auseinander und forderten Veränderungen in den globalen Beziehungen. Das gilt noch mehr für die internationale Ebene, wo sich im Kontext der Dekolonisierung die Ursprünge gegenwärtiger Debatten finden lassen – so verhandelte die UNESCO bereits 1970 über Richtlinien zur Restitution von Kulturgütern. Diese Debatten blieben nicht ohne Echo in beiden Teilen Deutschlands. Dieser Band zeichnet diesen frühen Spuren des antikolonialen Engagements nach.
Antikolonialismus in Deutschland nach 1945 entsprang drei verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen: sozialistischen und sozialdemokratischen Milieus, kirchlichen und entwicklungspolitischen Bewegungen und studentisch-migrantischen Gruppen. In beiden deutschen Staaten entwickelte sich die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und dem Antikolonialismus unterschiedlich. Historiker in der DDR, die sich seit Ende der 1950er-Jahre mit der deutschen Kolonialgeschichte beschäftigten, warfen ihren bundessdeutschen Kollegen vor, an „der Glorifizierung der Kolonialherrschaft“ (Piazza 1977) festzuhalten. Die Kolonialhistoriker in der Bundesrepublik unterstelten ihren Kollegen in der DDR wiederum, sie bemühten ihre Forschungen, „um den deutschen Kolonialismus und Imperialismus anzuprangern und um […] der Bundesrepublik Deutschland einen Neokolonialismus zu unterstellen” (Steltzer 1984). Während ein expliziter Antiimperialismus offizielle Staatsdoktrin der DDR war und seit 1974 gar Verfassungsrang besaß, formierte sich in der Bundesrepublik und West-Berlin Kolonialismuskritik aus zivilgesellschaftlichen Strömungen seit den späten 1960er Jahren in Opposition zu einer teilweise indifferenten, teilweise feindseligen Regierung.
Während Kolonialismuskritik bereits im Kaiserreich und der Weimarer Republik existierte, fristete substantielles antikoloniales Engagement in der Bundesrepublik in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten zunächst ein Schattendasein. Einen Wandel brachten die Neuen Sozialen Bewegungen seit den späten 1960er Jahren. Besonders bedeutsam war dabei deren Engagement für globale Solidarität: In zahlreichen Städten organisierten sich Gruppen gegen den Vietnamkrieg, unterstützten Befreiungsbewegungen in Afrika, Lateinamerika und Asien und engagierten sich direkt oder indirekt mittels Konsumboykotten in der Anti-Apartheid-Bewegung. Während die transnationalen Verbindungen der Arbeiter- und Frauenbewegung bis dato vor allem auf Europa und die ehemaligen europäischen Siedlerkolonien abzielten, öffneten sie sich in den 1970er Jahren zunehmend für den sogenannten Globalen Süden. Stimmen aus Afrika, Asien und Lateinamerika wurden sichtbarer, antikoloniale Akteur:innen erhielten in Europa Gehör und wurden zu aktiven Partner:innen der Solidaritätsarbeit. Gleichzeitig blieb die Beziehung zu den Befreiungsbewegungen von Eurozentrismus geprägt. Zumeist war Solidarität mit fernen revolutionären Bewegungen auch Ausdruck der eigenen politischen Selbstvergewisserung, die sich vor allem als Auseinandersetzung mit der Elterngeneration gestaltete. Ein Teil des solidarischen Engagements war demnach eine Art „Stellvertretersolidarität“, wie Dietmar Süß und Cornelius Torp (2021) feststellten.
Wie sich das konkret vor Ort gestaltete, lässt sich am Beispiel Bremen gut veranschaulichen. Wie in anderen deutschen Städten auch boten Informationszentren, Dritte-Welt-Häuser und Solidaritätsgruppen in Bremen Räume, um sich mit globaler Ungleichheit und mit ihren Wurzeln im europäischen Kolonialismus auseinanderzusetzen. Das Bremer Afrika Archiv unterstützte beispielsweise seit den späten 1970er-Jahren, aus Verantwortung für die deutsche Kolonialvergangenheit, gezielt Befreiungsbewegungen in Namibia und der Westsahara sowie den Anti-Apartheid-Kampf im südlichen Afrika. Es organisierte politische Bildungsarbeit und internationale Begegnungen; bereits 1975 wurde Ben Amathila, skandinavischer Vertreter der SWAPO, nach Bremen eingeladen. Das 1980 begonnene Namibia-Projekt an der Universität Bremen war als Kooperationsvorhaben zwischen deutschen und namibischen Akteurinnen und Akteuren angelegt und verstand Solidarität ausdrücklich als Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Mitglieder des Bremer Afrika Archivs wirkten zudem an der Umbenennung kolonial belasteter Straßennamen und an der Umwidmung des Bremer Elefanten zu einem antikolonialen Gedenkort mit und leisteten mit der Ausstellung zu 100 Jahren Berliner Afrikakonferenz 1984 Pionierarbeit bei der Aufarbeitung des Kolonialismus in Westdeutschland. 1978 beschloss die Bremische Bürgerschaft die Einrichtung des Landesamts für Entwicklungszusammenarbeit, das erste dieser Art auf Länderebene, nicht zuletzt mit dem Verweis auf die Verantwortung für das koloniale Erbe. Ebenfalls seit den 1970er Jahren plädierte der Direktor des Bremer Übersee-Museums, Herbert Ganslmayr, international für die Rückgabe kolonialer Objekte an ihre Herkunftsgemeinschaften. Solche lokalen Initiativen strahlten oft über die Stadtgrenzen hinaus, motivierten nationale Debatten und förderten die Vernetzung der deutschen Solidaritätsbewegungen.
Die Geschichte der Neuen Sozialen Bewegungen in Deutschland ist mittlerweile zwar gut erforscht, für Bremen etwa durch die Arbeiten von Christoph Butterwegge Anfang der 1990er Jahre, doch ihr Beitrag zum Antikolonialismus ist bisher unzureichend thematisiert. Zuletzt sind Arbeiten erschienen, die insbesondere die Rolle von Schwarzen Studierenden und migrantischen Gruppen für die Thematisierung von Deutschlands kolonialer Vergangenheit hervorheben (vgl. Akinyosoye/Tesfai 2025; Florvil 2023). Dass, wie Bafta Sarbo jüngst in der ak – analyse & kritik (16.9.2025) schrieb, heute noch identische Themen behandelt werden wie in den 1970er Jahren, liegt nicht nur an der Trägheit gesellschaftlichen Wandels, sondern auch an der fehlenden Aufzeichnung dieser Kämpfe (siehe auch Schäfer 2024). Dieser Band bemüht sich, wie ähnlich gelagerte Projekte derzeit auch, dieses Versäumnis nachzuholen und die Zeitgeschichte des Antikolonialismus seit den 1970er Jahren regional nachzuzeichnen.
Der Band versammelt Texte von Wissenschaftler:innen, Zeitzeug:innen und Aktivist:innen und zeichnet die Entstehung lokaler Initiativen, transnationaler Netzwerke und erinnerungspolitischer Auseinandersetzungen nach. Dabei sind Beiträge zu antikolonialen Kampagnen der DDR und Bundesrepublik ebenso willkommen wie Artikel zu deren konkreten Beziehungen und transnationalen Kooperationen. Der Band untersucht nicht nur institutionelle Strukturen, sondern richtet den Blick gezielt auf die konkreten Erfahrungen, Konflikte und Handlungsstrategien der beteiligten Gruppen. Studien zur Anti-Apartheid-Bewegung (Graham/Fevre 2024, 2025) haben zuletzt gezeigt, dass lokale Gruppierungen politisch und personell wesentlich heterogener waren als ihre nationalen Dachverbände. Um die spezifischen Praktiken lokaler Solidaritätsinitiativen zu erfassen und nationale oder privilegierte Narrative zu vermeiden, konzentriert sich der Band vorrangig auf die Arbeit an der Basis. Dabei liegt der Schwerpunkt auf zivilgesellschaftlichen Gruppen und Aktivitäten in Bremen; Beiträge zu anderen Orten und Regionen sind gleichwohl ausdrücklich erwünscht.
Mögliche Themen
• Universitäten und soziale Bewegungen
• Parteipolitische Beziehungen und politische Repressionen sozialer Bewegungen
• Antikolonialismus in Ost- und Westdeutschland
• Migrantische erinnerungskulturelle und antikoloniale Aktivitäten
• Beziehungen zwischen antikolonialen Initiativen in Ost- und Westdeutschland
• Akteur:innen entwicklungspolitischer Gruppen
• Konjunkturen des Solidaritätsbegriffs
• Fremdzuschreibungen und Aneignungen in transnationalen Solidaritätsbewegungen
• Namibia-Solidarität international
• Koloniales Nachleben in Deutschland
• Grenzen und Hierarchien der internationalen Solidarität
• Solidarität und Alltag in Deutschland
• Eigenheiten und Besonderheiten der transnationalen Solidarität Deutschlands
• Konjunkturen der Kolonialgeschichtsschreibung in Ost und West
Beiträge
Dieser Band ist als populärwissenschaftliches Sachbuch konzipiert und wird voraussichtlich im PapyRossa Verlag Köln erscheinen. Die Beiträge sollen narrativ ansprechend und für ein breites Publikum verständlich geschrieben sein. Auf einen umfangreichen Anmerkungsapparat wird bewusst verzichtet. Erforderliche Quellenangaben werden in reduziertem Umfang als Endnoten ausgewiesen. Jeder Beitrag umfasst etwa 20.000 Zeichen (entspricht 10 Druckseiten) und soll durch eine Schwarz-Weiß-Abbildung ergänzt werden.
Grober Zeitplan
31.1.2026: Deadline für die Einreichung von Abstracts
15.2.2025: Benachrichtigung über Aufnahme in den Band
30.9.2026: Einreichung der Beiträge bei den Herausgeber:innen
31.10.2026: Übergabe des fertigen Manuskripts an den Verlag
Frühjahr 2027: Veröffentlichung
Abstracts
Vorschläge für Beiträge mit Titel, Abstract (ca. 200 Wörter) sowie kurzem Lebenslauf bitte an die beiden Herausgeber:innen Norman Aselmeyer (norman.aselmeyer@history.ox.ac.uk) und Caroline Schäfer (caro.schaefer@gmx.net) senden. Deadline ist der 31. Januar 2026. Die ausgewählten Beitragenden werden bis 15. Februar 2026 benachrichtigt.
